Blockchain in der Logistik Das Ende des Papierkrams

Die Blockchain-Technologie wird die Art, wie wir Transaktionen abwickeln, für immer verändern. Das macht sie für die Logistik besonders interessant. Große Konsortien bereiten sich auf die neue Zeit vor.

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Überall auf der Welt experimentieren derzeit Unternehmen mit der Blockchain um ihre Lieferketten und Prozesse zu rationalisieren, sie zu vereinfachen und die Kosten zu senken.

Kann man sich die globale Logistikbranche ohne Anwälte und Banker vorstellen? Ohne komplizierte Verfahren, verspätete Zahlungen, unvollständige oder gefälschte Aufzeichnungen und Papierkram? Mit Lieferketten, deren gesamter Material- und Informationsfluss von allen Beteiligten jederzeit nachvollzogen werden kann –  vom Hersteller bis zum Endkunden? Klingt unmöglich? Schon in naher Zukunft könnte es soweit sein. Es vergeht kaum mehr eine Woche, ohne dass ein großes Konsortium ankündigt, mit dem Einsatz der Blockchain-Technologie, auf der fälschungssichere Kryptowährungen wie Bitcoin basieren, in ein neues Zeitalter starten zu wollen.

Anfang Mai erklärten die Autohersteller BMW, Ford, General Motors und Renault, gemeinsam den Einsatz der Blockchain-Technik in Fahrzeugen und Verkehrstechnik voranbringen zu wollen. Ihre Mobility Open Blockchain Initiative (MOBI) soll Verkehrsteilnehmer ermöglichen, über ein Blockchain-Netzwerk Transaktionen mit Behörden und Dienstleistern abzuwickeln. Dank der dezentralen Struktur hätten Autobesitzer zudem mehr Kontrolle über ihre Verkehrsdaten und könnten diese über Marktplätze für Fahrdaten mit Kryptogeld als Tauschmittel selbst vermarkten.

Milliardenersparnisse bei den Transportkosten

Der dänische Schifffahrtsriese Maersk gab bereits zum Jahresbeginn ein Joint Venture mit IBM bekannt, um die Blockchain-Technologie für die Entwicklung effizienterer und kostensparender Prozesse für den weltweiten Handel zu nutzen. Waren im Wert von mehr als 4 Billionen US-Dollar werden jedes Jahr um den Globus verschifft. Die Kosten für die erforderlichen Handelsdokumente zur Verarbeitung und Verwaltung dieser Güter werden auf ein Fünftel der tatsächlichen physischen Transportkosten veranschlagt.

Einfach ausgedrückt ist eine Blockchain die digitale Variante eines Hauptbuchs, in das bei der Buchhaltung alle Geschäftsvorfälle systematisch eingetragen werden. Bei der Blockchain liegen aber identische Kopien auf mehreren Computern. Jede Änderung wird gleichzeitig auf allen Kopien registriert, so dass alle Transaktionsbeteiligten immer auf dem neuesten Stand sind. Erdacht wurde dieses Prinzip, um einen manipulationssichere digitalen Währungsaustausch zu ermöglichen. Alle Transaktionen werden als fest verbundene Blöcke aufgezeichnet – daher der Name. Prozesse, die in den papierbasierten Systemen Tage oder gar Wochen dauern, werden mit Hilfe der Blockchain in Sekundenschnelle abgewickelt. Damit hat diese Innovation das Potenzial, den Wust an Bürokratie zu beseitigen, der bislang mit dem weltweiten Versand von Gütern verbunden ist.

Derzeit laufen in den beiden größten Häfen Europas – Rotterdam (Niederlande) und Antwerpen (Belgien) – Pilotprojekte zur Automatisierung und Rationalisierung der Containerlogistik mit Hilfe der Blockchain-Technologie. Das Golf-Emirat Dubai will bis 2020 sämtliche Dokumente für den Im- und Export von Gütern durch Smart Contracts – intelligente Verträge auf Blockchain-Basis – ersetzen.

Vermittler werden nicht mehr gebraucht

Die Möglichkeit, intelligente Verträge innerhalb der Blockchain sicher abzulegen, macht die neue Technologie für die Logistikbranche besonders interessant. Sobald die vereinbarten Anforderungen erfüllt sind – also etwa eine Lieferung erfasst ist – regelt die Software, dass Zahlungen automatisch angewiesen werden. Oder sie zieht die vereinbarte Konventionalstrafe ein, wenn eine vertragliche Verpflichtung nicht innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens erfüllt wurde.

Die Otto Group beschäftigt sich mit Blockchain-Szenarien für verschiedene Anwendungsfälle innerhalb des Konzernumfeldes. Im Team des E-Commerce Competence Centers ist Constance Stein, Innovation Manager Otto Group, im Austausch mit verschiedenen Firmen der Gruppe, um konkrete Use Cases zu finden und in die Pilotierung zu bringen. „Auch, wenn ich mir für die Otto Group als Zielbild am Ende des Lernprozesses wünsche, dass verantwortliche Kolleginnen und Kollegen prüfen, macht Blockchain für mein Projekt oder die Professionalisierung eines Geschäftsmodells Sinn, befinden wir uns mit dem Thema immer noch im Forschungs- und Entwicklungsbetrieb. Als Unternehmen kann es jedoch wichtig sein, Parallelstrukturen aufzubauen, um Anwendungsszenarien zu testen und zu lernen. Es muss einfach selbstverständlich werden, sich die Frage zu stellen, macht Blockchain in diesem oder jenem Anwendungsfall Sinn. Genauso wie man sich beim Aufbau jeglicher IT-Infrastruktur inzwischen fragt, ob die Cloud Sinn macht. Wir fragen uns im Konzernkontext jedoch nicht nur, macht es für das Unternehmen oder das Geschäftsmodell Sinn, sondern auch macht es für die Kundengruppe Sinn. Ein Beispiel das wir prüfen, ist der Einsatz von Blockchain-Technologie in punkto Nachhaltigkeits- und Finanzthemen. Wenn hier Lieferketten gegenüber dem Kunden transparent dargestellt werden sollen oder wenn im internationalen Kontext an verschiedenen Stellen der Supply Chain Dokumente (Frachtbriefe) geprüft und weitergegeben werden müssen, lässt sich das mit Blockchain abbilden. Gerade Währungsschwankungen und unterschiedliche Zoll- oder steuerrechtliche Regularien machen einen Test der Blockchain für internationalen Waren- und Paketversand zwar überaus relevant und spannend, erschweren jedoch auch das Aufsetzen eines Prototyps, da nicht klar ist, ob die Prozesse rechtlich anerkannt sind“, so Constance Stein.

Statt des bislang erforderlichen Papierkrams zwischen einer Vielzahl von Unternehmen, der bislang nötig war, um zum Beispiel einen Container von Afrika nach Asien zu schicken, werden in einer Blockchain alle relevanten Daten gesammelt. Da alle Daten-Blöcke mit Zeitstempeln versehen, verschlüsselt und übereinander aufgebaut sind, ist es unmöglich, einen Block zu ändern, ohne zuerst die dahinter liegenden Blöcke zu öffnen. Diese Art von Peer-to-Peer-Netzwerk erspart nicht nur den Beteiligten, ihre eigenen Bücher führen zu müssen. Es braucht auch keine von den Transaktionspartnern anerkannten Vermittler mehr, die alle für die Abwicklung notwendigen Dokumente erfassen, verifizieren und den Prozess koordinieren.

Den Weg der Waren in Echtzeit verfolgen

FreshTurf, ein Startup aus Singapur, hat in Kooperation mit IBM eine auf der Blockchain-Technologie basierende Plattform aufgesetzt, über die Transaktionen zwischen Händlern, Logistikanbietern, Schließfachfirmen und Endkunden direkt ohne Vermittler abgewickelt werden können. Dadurch können sowohl Empfänger als auch Lieferanten die Sendungen leichter verfolgen und sie auf ein Netz von Abholstationen verteilen.

Weil Änderungen an allen Kopien gleichzeitig vorgenommen werden müssen, ist das Manipulieren oder Fälschen von Datensätzen in der Blockchain nahezu unmöglich. Jede Transaktion ist irreversibel in der Kette verankert, jedes Asset in der Datenbank nachverfolgbar und die Lieferkette damit für alle Beteiligten durchgehend transparent. Dank der überall sichtbaren Aktualisierungen innerhalb der Kette können etwa Exporteure und Importeure ihre Waren in Echtzeit über Landesgrenzen hinweg verfolgen.

Die mit Hilfe der Blockchain hergestellte Transparenz sichert auch die ehrliche Abwicklung von Transaktionen: Wenn Verbraucher ihr Steak bis zum Bio-Bauernhof zurückverfolgen oder prüfen können, ob der Hersteller ihrer Bettwäsche tatsächlich ägyptische Baumwolle verarbeitet hat, achten die Lieferanten nicht nur darauf, die Wünsche der Konsumenten genau zu erfüllen und die Zusagen zur Qualität ihrer Produkte einzuhalten – sie können diese neue Transparenz auch als Marketinginstrument nutzen: Die Diamantenfirma De Beers zum Beispiel bietet ihren Kunden inzwischen an, über ein branchenweites Blockchain-Diamantenbuch den Lieferweg der Edelsteine vom Zeitpunkt ihres Abbaus an zu verfolgen. Damit können Käufer sicher sein, dass sie keine Blutdiamanten kaufen. Und der US-Handelsriese Walmart hat gerade das Patent auf ein Blockchain-basiertes Liefersystem angemeldet, mit dem Pakete auf dem Weg zum Kunden überwacht werden.

Es gibt noch rechtliche und technische Hürden

Die Blockchain wird die Art, wie wir Prozesse organisieren und Geschäfte machen für immer verändern. Sie lässt sich auf ganz unterschiedliche Anforderungen zuschneiden, kann zunächst in Teilen von Lieferketten installiert und sukzessive erweitert werden. Aber auch wenn viele Anwendungsfälle vorstellbar sind, werde die Blockchain die Logistik nicht von heute auf morgen revolutionieren, erwarten die Branchenexperten Dietmar Prümm und Peter Kauschke vom Beratungsunternehmen PwC. So sei noch ungeklärt, wie sich die Blockchain in das bestehende Vertragsrecht integrieren lasse. Außerdem gebe es technische Hürden, etwa bei der störungsfreien Zusammenarbeit verschiedener „Ketten“ oder bei der Wahrung des Datenschutzes. Dennoch sind sich die PwC-Berater mit den meisten Experten einig: „Der Siegeszug der Blockchain ist auch in der Logistik nur eine Frage der Zeit.“

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