City-Logistik: Autofreie Modellstadt Gent: Denkbares Konzept für deutsche Metropolen?
Der Lieferverkehr in deutschen Großstädten steigt seit Jahren an. Vielerorts sorgen verstopfte Straßen und fehlende Haltemöglichkeiten für immer neue Herausforderungen – auch bei der Paketzustellung. In der belgischen Stadt Gent geht man einen Weg, der Modellcharakter haben könnte. Gent setzt auf eine autofreie Innenstadt.
Bis vor ein paar Jahren sah die Innenstadt von Gent noch so aus: Autos standen dicht aneinander gedrängt auf dem jahrhundertealten Kopfsteinpflaster des historischen Stadtkerns. Täglich kam es zu Staus, Parkplätze gab es nur wenige, und die Cafés verzichteten aufgrund von schlechter Luftqualität und massivem Verkehrslärm auf Tische unter freiem Himmel. Die Stadt handelte und schuf ein Mobilitätskonzept namens „circulatieplan“, das am 3. April 2017 in die Praxis umgesetzt wurde. Seitdem dürfen nur noch Busse, Taxis und Rettungskräfte per Auto in die City. Lieferwagen müssen bis 11 Uhr den Stadtkern wieder verlassen.
Frische Luft im Stadtkern von Gent
Viele der Bewohner der 260.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Belgiens haben sich längst mit der neuen Situation arrangiert und verzichten auf das eigene Auto, um ins Zentrum zu kommen. In den vergangenen fünf Jahren hat sich etwa die Zahl der Carsharing-Automobile mehr als verdreifacht. Wer noch nicht komplett aufs Rad oder öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen ist, nutzt regelmäßig eines der 10.000 Leihautos. Ein weiterer Effekt: E-Bikes boomen nicht nur unter den Bewohnern von Gent, sondern auch bei den Zulieferern. Ob Food-Delivery oder Paketzulieferung – Elektrofahrräder lösen immer mehr Transporter und kleine Lieferwagen ab, um ihre Waren ans Ziel zu bringen.
Autofreie Bereiche auch in anderen Städten bereits Realität
Städte wie Kopenhagen, Oslo oder Madrid treiben ihre Mobilitätskonzepte ebenfalls stark voran: sie alle weisen autofreie Innenstadtbereiche vor. Hier sind Paketzulieferer auf der Letzten Meile mit Lastenrädern, E-Scootern und E-Bikes unterwegs. Dank freier Straßen klappt der Transport reibungslos.
Das Erschließen der Innenstädte auf politischem Wege führt zwangsläufig auch zu einem Umdenken in den Köpfen. In Kopenhagen will man bis 2025 erreichen, dass 75 Prozent aller täglichen Strecken von den Bewohnern zu Fuß mit dem ÖPNV oder mit dem Fahrrad erledigt werden.
Ein realistisches Mobilitätskonzept für Deutschland?
Die Universitätsstadt Gent mit seinen knapp 250.000 Einwohnern wird gerne mit Freiburg verglichen. Stadtplaner und Logistik-Experten können hier anschaulich den „circulatieplan“ nachverfolgen und schauen, was in der Praxis funktioniert. Eine der Fragen, die man sich hierzulande stellt: Hat das Modell der autofreien Innenstadt auch eine Zukunft für deutsche Metropolen?
Einzelne deutsche Städte wagen immerhin erste Gehversuche mit entschleunigten Verkehrskonzepten: In Hamburg ist etwa die Mönckebergstraße nur für den Bus-, Taxi- und Radverkehr freigegeben. Hier beansprucht man in den kommenden Jahren für sich sogar eine bundesweite Pionierrolle, um weitere Konzepte umzusetzen. Aktuell wagt man ein Experiment: Bis Ende Oktober bleibt das Rathausquartier tagsüber auto- und Lkw-frei. Beeindruckende 87 Prozent der örtlichen Gastronomiebetreiber vor Ort sprachen sich für das Experiment aus.
Emissionsfreie Zustellmethoden im Fokus
Autofreie Innenstädte könnten zukünftig also auch in Deutschland ein denkbarer Schritt hin zur Entschleunigung der überlasteten City-Bereiche sein. Bereits heute zeigen unterschiedliche Mobilitätskonzepte, wie Logistik den Wandel vor allem in dichtbesiedelten Ballungsgebieten mitgestalten kann. Ob Zustellung per E-Transporter, Lastenfahrrad sowie die Nutzung mobiler Mikrohubs – dies alles sind zentrale Bausteine für die alternative und emissionsfreie Innenstadtlogistik. Vollautomatisierte Auslieferungen via Roboter, Drohnen oder autonom fahrender Autos bleiben vorerst noch Zukunftsvision.