Coronavirus: Virus-Forschung: Jeder Rechner hilft
Christian Rost ist kein Wissenschaftler. Der 41-Jährige arbeitet als IT-Servicemanager bei der Hermes Germany in Hamburg – und wie so viele seiner Kollegen in Zeiten von Corona vom Homeoffice aus. Aber wenn Wissenschaftler in hoffentlich naher Zukunft einen Impfstoff oder ein Medikament gegen Covid-19 entwickelt haben werden, dann kann Rost sagen: „Ich habe mitgeholfen, wenn auch nur mit ein wenig Rechenleistung auf dem Privatcomputer.“
Dafür muss er keine Minute in einem Labor verbringen. Er leistet seinen kleinen Hilfsbeitrag digital. Als einer von Millionen Nutzern weltweit, die Rechenleistung ihrer privaten Computer zur Verfügung stellen.
Aus der Suche nach Außerirdischen wurde medizinische Forschung
Eines dieser Projekte ist Folding@home, das von Forschern der amerikanischen Stanford-University ins Leben gerufen wurde. Der Name leitet sich vom Prozess ab, den Proteine durchlaufen: Sie falten sich in einer bestimmten Art und Weise zu komplexen Gebilden, die an Wollknäuel erinnern. Geht dabei etwas schief, kann das Erkrankungen auslösen, beispielsweise Alzheimer oder Krebs. Umso tiefer Wissenschaftler in die Falt-Muster eindringen können, umso besser verstehen sie die Proteine – und umso eher können sie Medikamente oder Behandlungsmethoden entwickeln.
Solche Untersuchungen erfordern enorme Rechenleistung. Diesen Vorgang wollen Projekte wie Folding@home oder auch Rosetta@home beschleunigen – indem sie die Leistung von Computern auf der ganzen Welt vernetzen und so einen virtuellen Superrechner erschaffen. „Die Idee ist nicht neu, die ersten Anwendungen gab es bereits vor etwa 20 Jahren“, sagt Dirk General-Kuchel, Chefredakteur von „Computerbild“, „damals war das vorrangige Ziel, Funksignale aus dem All nach Hinweisen auf außerirdisches Leben zu untersuchen.“ Mit der Zeit rückte die medizinische Forschung in den Vordergrund. „Durch Corona erhält dieses Thema jetzt eine bislang unbekannte Aufmerksamkeit“, sagt General-Kuchel.
Mehr Leistung als jeder Supercomputer
So konnten die Betreiber von Rosetta@home, einem Projekt der Universität von Washington, Ende März verkünden, dass bereits rund 1,3 Millionen Nutzer registriert seien. Die Zahl der aktiven Nutzer ist zwar deutlich geringer, hatte sich aber von Ende Februar bis Ende März auf dann gut 45.000 mehr als verdoppelt. Tendenz: rasant steigend.
Bei Folding@home ermöglichten mehr als 100.000 Nutzer, dass Ende März bereits 1 ExaFlop an Leistung gebündelt werden konnte. Flops (Floating Point Operations per second) sind die Maßeinheit für die Rechengeschwindigkeit von Computern; ein Exaflop entspricht 1.000 Peta Flops. Zum Vergleich: Summit, der derzeit schnellste Supercomputer der Welt, erreicht eine Leistung von 200 Peta Flops.
Auch Hermes-Mitarbeiter Rost hatte sich bereits vor Jahren bei einem Vernetzungsprojekt angemeldet, verlor aber nach einiger Zeit das Interesse daran und war lange Zeit nicht aktiv. Bis der Corona-Virus und die drängende Forschung dem Thema Aktualität verliehen. „Dafür wollte ich mich engagieren“, sagt er. Er entschied sich darum, mit seinem privaten Rechner bei dem Projekt Rosetta@home mitzumachen.
Einfache Installation, höherer Stromverbrauch
„Die Installation ist leicht, das bekommt jeder hin“, sagt er, „und das Programm lässt sich so einstellen, dass es nur zu vorgegebenen Zeiten auf den Rechner zugreift. Möglich ist allerdings, dass die Stromkosten ansteigen. Dies ist abhängig davon, wie häufig das Programm aktiv ist: „Läuft es rund um die Uhr, kann die Stromrechnung vielleicht ein paar Euro pro Monat höher ausfallen“, sagt Rost. Unbegründet ist dafür eine andere Sorge. Niemand habe durch die Verknüpfung Zugriff auf private Daten, sagt „Computerbild“-Chefredakteur General-Kuchel: „Man lädt lediglich ein Programm herunter, das Datenpakete empfängt, verarbeitet und die Ergebnisse wieder zurückschickt. Es ist nicht so, als ob der eigene Rechner von außen gesteuert würde.“
Hermes-Mitarbeiter Rost hofft, dass viele Menschen seinem Beispiel folgen, auch von seinen Kollegen: „Es ist doch faszinierend zu sehen, dass man im Kleinen die Möglichkeit hat, der Wissenschaft zu helfen.“