Digitaler Einzelhandel: Der Trend geht zur kassenlosen Bezahlung
Kunden schlendern gemütlich durch die Regalreihen, packen die begehrten Waren gleich in ihre Taschen und zahlen beim Rausgehen via Smartphone. So könnte der Alltag beim Einkauf im Geschäft vor Ort zukünftig aussehen. Kassen und Kassierer, wie wir sie heute kennen, gibt es nicht mehr. Der Trend des selbstbestimmten Kunden ist Dank zunehmender Digitalisierung immer stärker auch im Einzelhandel erlebbar.
Ikea-Kunden kennen längst die Self-Checkout-Kassen: Am Ausgang scannen sie ihre Waren selbst und bezahlen mit ihrer Karte. Das hat aber zwei Haken: Sogar an diesen Self-Checkout-Kassen stehen sie zuweilen in der Schlange. Und wenn sie mehr als fünf oder große Artikel kaufen, artet das Scannen bei der winzigen Fläche zum akrobatischen Akt aus. Dennoch sind sich die Experten sicher, der Trend beim Bezahlen im Einzelhandel geht zur kassenlosen Gesellschaft.
Self-Checkouts und Self-Scanning
Was heute schon gut funktioniert, zeigten Kassenanbieter wie NCR, Diebold Nixdorf, Toshiba und Fujitsu auf der Messe EuroShop Anfang März in Düsseldorf. Im Wesentlichen gibt es zwei Konzepte: die stationären Selbstbedienungskassen, neudeutsch: Self-Checkout, bei dem die Kunden am Ende ihres Einkaufs jeden Artikel selbst scannen und am Ende entweder an einer Bezahlstation in bar oder mit Karte bezahlen.
Das zweite Konzept ist das mobile Self-Scanning. Entweder scannen Kunden ihre Einkäufe mit einem mobilen Lesegerät oder mit ihrem Smartphone und entsprechender App. Bei beiden Varianten werden die Daten in das Kassensystem übernommen, die Kunden bezahlen ihre Einkäufe an einer Bezahlstation.
Deutscher Handel im Vergleich zurückhaltend
Diese automatischen Systeme werden vor allem im Lebensmittelhandel eingesetzt, zum Beispiel bei Edeka oder Real, aber auch in Baumärkten und Möbelhäusern. „Im deutschen Einzelhandel gibt es bisher nur wenig der neuen Angebote“, sagt Frank Horst, Leiter Forschungsbereich Sicherheit + Inventurdifferenzen des Kölner EHI Retail Institute. Er schätzt, dass es bundesweit rund 300 Geschäfte mit stationären Selbstbedienungskassen gibt, und gut 25 Geschäfte, die mobiles Self-Scanning anbieten.
Die zur REWE Group gehörende österreichische MERKUR, der französische Carrefour oder der Schweizer Coop beispielsweise sind beim Einsatz der Self-Checkout-Systeme weit erfahrener. Die italienische Supermarktkette Unicoop in Florenz ermöglicht schon das Scannen und Bezahlen der Waren mit dem eigenen Smartphone und einer App. Die Kunden können sich dabei auch für Werbeaktionen anmelden und E-Coupons mit der App einlösen. Viele Zusatzfunktionen wie intelligente Einkaufslisten, detailliertere Produktinformationen oder die Ladensuche schaffen einen Mehrwert für sie und erhöhen die Nutzungsrate der App.
Hohe Anschaffungskosten schrecken Händler ab
Warum ist das in Deutschland anders? Die Gründe für die zögerliche Verbreitung liegen weniger an der Kundenakzeptanz. Nach der Befragung „Self-Checkout-Systeme“ von TNS Infratest im Auftrag der Kölner Handelsforscher unter rund 4.000 Verbrauchern schätzen es die Meisten (67 Prozent), den Kaufvorgang im eigenen Tempo abzuschließen. Es sind eher die hohen Anschaffungskosten, die nach Berechnungen von Frank Horst meist doppelt so hoch sind wie der durchschnittliche Preis von herkömmlichen Kassen.
Gerade im Lebensmittelhandel mit den im europäischen Vergleich niedrigen Margen ist das nicht immer leicht zu bewerkstelligen. Doch der Aufwand lohnt sich: „Der Händler erhält im Gegenzug zufriedenere Kunden und kann gemessen am Verhältnis Kunden pro Stunde eine Produktivitätssteigerung von bis zu 40 Prozent auf gleicher Fläche und bei gleichen Kosten erreichen“, sagt Horst.
Jeder Griff ins Regal wird aufgezeichnet
Bei den neuen Lösungen wie dem „Scan-as-you-shop“ zusammen mit dem Lesegerät „FastLane Mobile Shopper“ von NCR werden die Daten über einen Scan direkt an die Kassen übertragen, wo der Kunde seinen Einkauf abschließt. Der handliche Scanner übernimmt wie die App bei Unicoop mehrere Aufgaben: Er kann Produkt- und Preisinformationen anzeigen sowie durch die Anbindung an das Treueprogramm des Geschäfts dem jeweiligen Kunden zielgerichtete Produkte anbieten. Zusätzlich erkennt er dank einer Software Etikettenschwindel am erfassten Bild, wenn ein Etikett nicht zu dem gescannten Produkt passt.
Eingesetzt wird das System bereits in einem Globus Hypermarkt in Moskau und ist jetzt auch in Deutschland verfügbar. „Für uns ist die digitale Lösung ein integraler Bestandteil unserer Transformationsstrategie“, erklärt Denis Rossoshanskij, Leiter Kassensysteme und Prozesse bei Globus Hypermarkets.
Vor allem sind es Kassenhersteller, die an Zukunftskonzepten arbeiten, um die Digitalisierung im Einzelhandel voranzutreiben. So etwa Toshiba mit „Touchless Commerce“. Nach Angaben des Anbieters soll es die Zeit der Kunden an der Kasse auf wenige Sekunden reduzieren. Statt alle Artikel einzeln zu erfassen, stellen sie einfach den ganzen Einkaufskorb unter eine spezielle Kamera. Mit Hilfe von 3D-Erkennung werden alle Artikel im Einkaufskorb auf einmal erfasst. In Kombination mit einer Kamera für Gesichtserkennung erledigen registrierte Kunden den Bezahlvorgang besonders schnell, da der Betrag vom angegebenen Konto abgebucht wird.
Datenschützer melden Bedenken an
Doch, was so bequem für die Kunden ist, ruft gleich Kritiker auf den Plan. Sie sehen in der digitalen Erfassung der Kunden den Datenschutz massiv gefährdet, der hierzulande besonders streng ist. In Amerika ist das kein Problem: In Seattle jedenfalls soll „Amazon Go“ – ein Konzept, bei dem es weder Kassen noch Kassierer gibt – im Laufe dieses Jahres für das breite Publikum geöffnet werden.
Ende 2016 hat der Internethändler in der Nähe des Touristen-Highlights Pike Place Market einen Pilotsupermarkt eröffnet. Kunden checken sich beim Betreten des Ladens mit dem Smartphone ein, packen ihre Einkäufe direkt in ihre Taschen und checken sich wieder aus. Der Kaufbetrag wird automatisch von ihrem Kundenkonto abgebucht. Bis zu 2.000 weitere Lebensmittelgeschäfte dieser Art sind schon im Gespräch.
Ein findiger Schwede hatte dieses Konzept bereits im vergangenen Jahr realisiert: Im 4.200 Einwohner zählenden Dörfchen Viken in der Nähe von Stockholm hat der IT-Spezialist Robert Ilijason einen kleinen Supermarkt ohne Kassierer und Verkäufer eröffnet, in dem die Kunden mit einer App rund um die Uhr das Nötigste einkaufen können. Die App öffnet ihnen die Tür zum Supermarkt und auch bezahlt wird damit. Allerdings gibt es dort nur die gängigsten Produkte. Artikel, die häufig geklaut werden, sind erst gar nicht im Sortiment. Immerhin müssen die Einwohner nicht für jede Kleinigkeit in den nächsten größeren Ort fahren.