Diversity: MORE* Netzwerk: Ein Truck auf der Pride-Parade ist nur der Anfang
Mehr Vielfalt, mehr Akzeptanz – dafür steht der Name MORE*. Ende Juli 2019 gründete sich unter diesem Namen ein Netzwerk für die LGBTIQ-Kolleg*innen (LGBTIQ steht für: Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Intersex, Queer) bei der Otto Group, zu der auch Hermes zählt. Ein Gespräch mit den Gründungsmitgliedern Lukas von Lindern (Junior Human Resource Manager bei Hermes Germany) und Ingo Bertram (Pressesprecher bei OTTO) über die Ziele von MORE* und die Balance zwischen Sonderrolle und Ausgrenzung.
Was ist das Ziel von MORE*?
Lukas von Lindern: In erster Linie möchten wir aufklären, Akzeptanz schaffen, Sichtbarkeit fördern. Zur Sichtbarkeit gehören auch kleine Dinge – wie die Regenbogenfahne, die bei mir im Büro hängt. Aber natürlich auch, dass sich die Otto Group auf der Hamburg Pride-Parade am Christopher Street Day bereits zum dritten Mal mit einem eigenen Truck präsentierte. Der Kick-off für unser Netzwerk war darum unmittelbar vor der Parade, am 29. Juli.
Der Pride-Wagen ist ja bereits ein erstes Zeichen – warum braucht es zusätzlich ein Netzwerk wie MORE*?
Ingo Bertram: Natürlich ist es für ein Traditionshaus wie OTTO, aber auch für die gesamte Konzerngruppe, ein starkes Bekenntnis, sich in seiner Heimatstadt hinzustellen und zu sagen: Wir engagieren uns für eine diverse Unternehmenskultur. Aber damit ist es nicht getan, das ist nur ein Anfang. Was passiert, wenn Menschen vielleicht auch bei uns am Arbeitsplatz diskriminiert werden oder sich diskriminiert fühlen? An wen wenden sie sich dann?
Lukas von Lindern: Natürlich gibt es schon jetzt Ansprechpartner, etwa beim Betriebsrat. Aber ich würde mich trotzdem eher an ein Netzwerk richten, das aus Menschen besteht, die irgendwann vor den gleichen Herausforderungen standen wie ich und sich die gleichen Fragen stellten.
Ist schon jemand an euch herangetreten, der oder die sich diskriminiert fühlte?
Lukas von Lindern: Mir ist noch kein Diskriminierungsfall bekannt. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass es bei Hermes ein Problem ist. Gleichwohl ist das natürlich eine sehr subjektive Betrachtung. Wir haben in der Group über 50.000 Mitarbeiter*innen. Wenn wir von der allgemein üblichen Schätzung ausgehen, dass rund zehn Prozent davon homo-, trans-, bisexuell oder einfach queer sind, sind das 5.000 Kolleg*innen. Bei 5.000 Menschen würde ich mir nicht anmaßen zu beurteilen, ob keiner davon sich jemals diskriminiert gefühlt hat oder diskriminiert wurde.
Ingo Bertram: Das ist auch ein Grund dafür, dass es mittelfristig in allen Konzerngesellschaften der Otto Group Ansprechpartner unseres Netzwerks geben soll. Denn am Ende sind alle Gesellschaften unterschiedliche Firmen. Ich habe etwa bis vor kurzem auch noch bei Hermes gearbeitet. Mir wäre nicht in den Sinn gekommen, mich bei einem Problem oder Anliegen damit beispielsweise an einen OTTO-Mitarbeiter zu wenden.
Ihr seht euch also auch als Ansprechpartner und Berater?
Lukas von Lindern: Erstmal zählt allein die Tatsache, dass es ein Netzwerk gibt, das zeigt, dass offensichtlich keine negativen Reaktionen darauf folgen, wenn man sich outet. Dennoch werden manche Kolleg*innen in manchen Situationen verunsichert sein. Sagen wir mal so: Ich arbeite in der Hermes-Zentrale in Hamburg, obendrein im Bereich Human Resources, mit überwiegend weiblichen Kolleginnen. Da ist es völlig unproblematisch, ob jemand mitbekommt, dass ich auf Männer stehe. Das mag anders sein, wenn man etwa an einem Standort im Lager arbeitet. Mit lauter männlichen Kollegen, wo vielleicht ein sehr direkter Umgangston herrscht. Wäre sich dort jemand unsicher, ob er etwa bei einer After-Work-Veranstaltung seinen Partner mitbringen könnte, sehe ich es durchaus als meine Aufgabe , als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.
Und wozu würdest Du raten? Sollten sich alle queeren Kolleginnen und Kollegen sofort outen?
Lukas von Lindern: Das kann man nicht pauschalisieren. Es gibt Menschen, die aus guten Gründen Berufliches und Privates strikt voneinander trennen. Wir haben da nicht zu sagen: Du solltest das jetzt aber tun. Das wäre ja quasi ein Zwangsouting. Sowas ist Quatsch.
„Wir können ja nicht Pluralität predigen und Singularität leben“
Wünscht Ihr euch, dass sich auch heterosexuelle Kollegen bei MORE* engagieren?
Lukas von Lindern: Unbedingt. Wir können ja nicht Pluralität predigen und Singularität leben. Für uns als Netzwerk ist es wichtig, dass wir unbedingt auch heterosexuelle Kollegen als Alliierte haben, die genauso wie wir sagen: Wir möchten in einem vielfältigen bunten Unternehmen leben!
Könnt Ihr euch auch vorstellen, dass ein Netzwerk wie MORE* die Sonderrolle von Queersein erst recht betont?
Ingo Bertram: Das ist ein Balanceakt. Natürlich sind wir eine Minderheit, schon rein zahlenmäßig, übrigens auch in Großstädten wie Hamburg und Berlin – das vergessen viele schnell. Gleichzeit ist es mir allerdings wichtig zu betonen, dass MORE* ein offenes Netzwerk für alle Menschen ist, die sich für Vielfalt in jeglicher Form engagieren möchten. Wir grenzen hier niemanden aus und möchten uns auch nicht vom Rest abgrenzen.
Will sich MORE* auch mit Netzwerken mit anderen Unternehmen vernetzen?
Lukas von Lindern: Unbedingt. Andere Konzerne stehen ja vor genau den gleichen Herausforderungen wie wir. Da können wir natürlich lernen, was funktioniert hat und was nicht.
Ingo Bertram: Ich kann mir sogar vorstellen über MORE* eines Tages Konferenzen oder Barcamps auszurichten, mit Workshops zu queeren Themen und Diversity. Noch sind wir davon weit entfernt, aber man muss ja Ziele haben.
Wie unterstützt euch die Geschäftsführung bei euren Aktivitäten?
Ingo Bertram: Die Energie ist toll, die wir jetzt schon an vielen Stellen spüren. Sehr gefreut hat mich zum Beispiel, dass Katy Roewer, OTTO Bereichsvorständin für Personal und Service, eine Schirmherrschaft für MORE* übernommen hat. Auch aus den Konzerngesellschaften kommt erfreulich viel Feedback. An den ersten Tagen nach dem Launch hat es sich so angefühlt, als hätten viele im Konzern nur darauf gewartet, dass so ein Netzwerk endlich startet.
Werdet ihr für diese Tätigkeit auch freigestellt?
Lukas von Lindern: Vorrangig ist es natürlich ein freiwilliges Engagement. Da muss man auch ein gewisses Augenmaß mitbringen. Aber es kommt natürlich schnell die Frage: Muss ich jetzt meine Chefin um Erlaubnis bitten, wenn ich mich während der Arbeitszeit engagieren will? Bei OTTO wird deshalb gerade an einem sogenannten Playbook gearbeitet, also einem Regelwerk für das Engagement in Mitarbeiter-Netzwerken. Unser Ziel ist, dass solches Engagement auch innerhalb der Arbeitszeit gefördert wird. Ich habe jetzt schon grünes Licht von meiner Vorgesetzten bekommen.
Ingo Bertram: Letztlich profitieren Unternehmen ja auch durch solche Initiativen. Gerade neulich habe ich einen neuen Kollegen kennengelernt, der mir erzählte, dass er sich letztes Jahr bei mehreren Arbeitgebern beworben hatte. Als er dann den Truck der OTTO Group auf der Pride-Parade sah, war ihm klar: Das ist das Unternehmen, bei dem er arbeiten will.
Vielen Dank für das Gespräch!