Diversity: Homosexualität im Job: „Wir sind stark, wenn wir Minderheiten stärken“
Hermes hat im Rahmen der Kampagne „Hamburg zeigt Flagge“ heute die Regenbogenflagge an der Zentrale in Hamburg-Langenhorn gehisst. Damit macht sich das Unternehmen erneut öffentlich stark für die Rechte von Homo-, Bi- und Transsexuellen, kurz: LGBT. Anlass ist die Hamburg Pride Week, die bis zum 5. August andauert. Höhepunkt der Aktionswoche ist der Christopher Street Day (CSD) am 4. August 2018. Wir sprachen mit Stefan Mielchen vom Verein Hamburg Pride e.V. über Outing im Büro, Engagement von Unternehmen und die Bedeutung von Diversity.
Herr Mielchen, viele Hamburger Unternehmen hissen dieser Tage Regenbogenflaggen, die Otto Group ist als „Offizieller Partner des Hamburg Pride“ mit einem Truck auf der CSD-Parade dabei. Man könnte sagen: Ihr Verein hat es geschafft…
Stefan Mielchen: Den Eindruck kann man gewinnen! Es ist beispielgebend, wenn bekannte Unternehmen oder eine Institution wie die altehrwürdige Hamburger Handelskammer zum CSD Flagge zeigen. Das strahlt deutlich über die Stadtgesellschaft aus und signalisiert Weltoffenheit. In einer international ausgerichteten Hafenstadt wie Hamburg, in der es neben dem alltäglichen Miteinander ja auch um Wettbewerbsfähigkeit und weiche Standortfaktoren geht, ist das nicht zu unterschätzen.
Hat sich das Engagement von Unternehmen in den letzten Jahren verändert?
Stefan Mielchen: Es sind über die Jahre immer mehr Firmen geworden, die sich an der CSD-Demonstration beteiligen. Einerseits gibt es im Gegensatz zu früher mehr Regenbogen-Netzwerke der jeweiligen Belegschaften, die eine Teilnahme forcieren. Andererseits haben aber auch viele Unternehmen erkannt, dass ein Pride-Truck nicht nur das Image der eigenen Marke fördert, sondern auch die Botschaft sendet, ein aufgeschlossener und damit attraktiver Arbeitgeber zu sein.
Und dennoch trennen viele Menschen Arbeit und Privatleben strikt. Wie wichtig ist ein Outing im Job?
Stefan Mielchen: Es ist natürlich immer eine individuelle Entscheidung, wie viel Offenheit man zeigt. Wenn ich mich aber im Job ständig verstecken oder die Legende eines Doppellebens aufrecht erhalten muss, ist das ein hoher Energieaufwand. Diese permanente Selbstverleugnung, die ja auf Ängsten beruht, kann auf Dauer krank machen. Eine offene und vertrauensvolle Unternehmenskultur ist daher für alle Beteiligten wichtig.
Jeder Vierte fürchtet Diskriminierung im Job
Wie erleben Sie die aktuelle Situation in deutschen Unternehmen? Ist Homosexualität wirklich noch ein Tabu oder ist es nicht längst egal, ob der Kollege am Nachbartisch auf Männer oder Frauen steht?
Stefan Mielchen: Es sollte egal sein, ist es aber häufig nicht. Studien zeigen, dass rund ein Viertel der betroffenen Beschäftigten aus Angst vor Diskriminierung am Arbeitsplatz ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität verbergen. Das sind bessere Werte als noch vor zehn Jahren, aber es ist immer noch viel zu viel. Je weiter es in der Hierarchie nach oben geht, desto größer ist nach wie vor das Tabu. Offen lesbische oder schwule Vorstände in DAX-Konzernen sucht man nahezu vergeblich.
Immer wieder wird in diesem Kontext auch Mobbing diskutiert. Was raten Sie Betroffenen?
Stefan Mielchen: Nicht alles zu schlucken und auch bei vermeintlich harmlosen Witzen Grenzen zu setzen. Wer gemobbt wird, sollte sich an die Vorgesetzten wenden oder an den Betriebsrat. Das kostet häufig Überwindung und Kraft, eine andere Möglichkeit sehe ich aber nicht.
Was sollten Firmen Ihrer Meinung nach tun, um beim Thema Diversity wettbewerbsfähig zu bleiben?
Stefan Mielchen: Wer in Zeiten des Fachkräftemangels um qualifiziertes Personal kämpft, muss sich auch selbst qualifizieren. Personalverantwortliche müssen auf allen Hierarchieebenen für Diversity-Fragen sensibilisiert sein. Wichtig ist, das Thema authentisch zu leben. Eine Regenbogengruppe im Unternehmen kann nicht von oben verordnet werden, aber ein Unternehmen kann viel dafür tun, eine solche Arbeit zu unterstützen. Ein Pride-Truck ist eine coole Sache, auch fürs Betriebsklima. Aber CSD ist nur einmal im Jahr. Viel wichtiger ist es, die Akzeptanz von Vielfalt auch im Rest des Jahres zu fördern.
„Wir müssen Konflikte austragen, ohne auszugrenzen“
Wenn wir den Fokus mal etwas erweitern: Wo sehen Sie in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft derzeit den größten Handlungsbedarf?
Stefan Mielchen: Die größte Herausforderung scheint mir aktuell, die Hysterie aus dem öffentlichen Diskurs zu bekommen. Der CSD ist eine Einladung, Vielfalt als Bereicherung zu erleben, die eine Gesellschaft voranbringen kann. Alle gemeinsam müssen wir verstehen: Wir sind als Gesellschaft nur dann stark, wenn wir unsere Minderheiten stärken. Populisten versuchen immer mehr, die Agenda zu bestimmen. In einer komplexer werdenden Welt hat aber nicht automatisch Recht, wer am lautesten schreit. Als offene Gesellschaft müssen wir Konflikte austragen, ohne auszugrenzen. Wir müssen Ängste ernst nehmen, aber denen, die aus Angst und Unwissenheit politisches Kapital schlagen wollen, entschlossen und aufklärend entgegentreten.
2017 wurde in Deutschland die „Ehe für alle“ beschlossen. Braucht es heute überhaupt noch Veranstaltungen wie den Christopher Street Day? De facto sind Homosexuelle in Deutschland doch rechtlich gleichgestellt.
Stefan Mielchen: Die Ehe für alle war eine politische Forderung von vielen – nach wie vor sind es über 20, die wir zum Christopher Street Day formulieren. Dabei geht es nicht nur um Homosexuelle. Auch Trans*-Personen, Bi- und Intersexuelle leiden unter teils massiven Diskriminierungen, sowohl rechtlich als auch im alltäglichen Erleben. Wir wollen, dass jeder Mensch über seine Identität und seinen Körper selbst entscheiden kann. Und wir wollen, dass unsere Rechte durch Artikel 3 des Grundgesetzes gesichert werden: Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität diskriminiert werden! Der CSD macht all dies sichtbar.
Der Hamburg Pride ist also immer noch politisch?
Stefan Mielchen: Er war nie unpolitisch, nur lebensfroher und lauter als andere Demonstrationen.
Danke für das Gespräch.