Kulturwandel im gewerblichen Bereich „Alle da abholen, wo sie gerade stehen“

2017 hat Hermes einen unternehmensweiten Kulturwandel ins Leben gerufen, der seitdem die Art und Weise der Zusammenarbeit mächtig auf den Kopf stellt. Aber wie schafft man es in einem heterogenen Unternehmen wie Hermes, alle Mitarbeiter*innen und Führungskräfte mitzunehmen – von der Zentrale bis zum Logistik-Center?

(Foto: Hermes/Willing-Holtz)

Über diese Frage haben wir mit Matthias Plack, Division Manager Cultural Change, und Thomas Wirth, Area Manager Kassel, gesprochen, die den Kulturwandel bei Hermes speziell im gewerblichen Bereich mit vorantreiben.

Matthias, du arbeitest schon seit 20 Jahren bei Hermes – eingangs in der Personalabteilung in der Zentrale, dann als Regionalleiter und General Area Manager und nun im Kulturwandel. Wieso nimmt der Kulturwandel gerade jetzt Fahrt auf?

Matthias Plack (Foto: Hermes)

Matthias Plack: Nun, zunächst einmal ändert sich die Welt ja gerade in einem unglaublichen Tempo. Alles ist im Wandel, auch das Miteinander und die Arbeitswelt. Der Begriff Kulturwandel selbst suggeriert zudem ein von außen aufgedrücktes: „Du musst dich ändern.“ Das ist nicht ganz falsch, wir setzen jedoch in der kulturellen Entwicklung sehr stark darauf, dass die Veränderung von innen kommt. Und dafür braucht es den richtigen Nährboden.

Hermes war lange ein sehr hierarchisch geprägtes Unternehmen, was nicht untypisch für die Logistik ist. Aber man kann eine Organisation – erst recht eine so große wie Hermes – nie losgelöst von der gesellschaftlichen Entwicklung betrachten. Die Themen Eigenverantwortung und auch Selbstwahrnehmung und -wirkung spielen in unserer Gesellschaft eine immer größere Rolle. Mehr und mehr Menschen wollen einen Sinn in ihrer Arbeit wissen und möchten sich stärker selbst einbringen. Man kann also sagen: Die Zeit ist reif für kulturelle Veränderung.

Mehr Eigenverantwortung für die Mitarbeiter – Hand auf’s Herz, Thomas: Hat das der ein oder anderen eher alteingesessenen Führungskraft Schweißperlen auf die Stirn getrieben?

Thomas Wirth: Das kommt sehr darauf an, mit welcher Einstellung man bisher geführt hat. Manch eine*r musste sicher umdenken. Aber ohne ein kräftiges Umdenken geht es in der heutigen Berufswelt nicht – da bin ich ganz bei Matthias. Keine Führungskraft ist die eierlegende Wollmilchsau, die alles kann und alles weiß. Und Mitarbeiter*innen sind keine Befehlsempfänger. Ich kann als Führungskraft nur profitieren, wenn ich ein Umfeld schaffe, in dem jede*r einzelne seine Stärken und sein Know-how einbringen kann. Ich habe das Gefühl, dass das mehr und mehr Kolleg*innen in Führungspositionen verinnerlichen.

Nun kann man viel über Veränderung sprechen. Aber wie füllt man einen abstrakten Begriff wie den Kulturwandel mit Leben – gerade im gewerblichen Bereich?

Matthias Plack: Ich glaube, es ist entscheidend, dass wir alle da abholen, wo sie gerade stehen. Ein Beispiel: Für den Kulturwandel in der Hamburger Zentrale ist spätestens durch Corona das Thema Home Office wahnsinnig relevant geworden. In den Areas war das ganz anders – Pakete kann man nun mal schlecht von zuhause sortieren. Wir müssen uns also sehr bedarfsgerecht anschauen, wo wir wie mit dem Kulturwandel ansetzen und das abstrakte große Ganze in spruchreife, konkrete Maßnahmen umwandeln, damit sich jede*r einzelne abgeholt fühlt. Ich muss den operativen Mehrwert greifbar machen – nur mit Gerede über Mindset und Haltung überzeuge ich im gewerblichen Bereich niemanden.

Thomas Wirth: Ich kann als Führungskraft natürlich nicht einfach anordnen: Von heute an ändert ihr gefälligst eure Kultur. Ich kann auch nicht voraussetzen, dass gleich jeder weiß, was damit überhaupt gemeint ist. Kulturwandel braucht Vorbilder. Meine Erfahrung ist: Am eindrücklichsten kann man vermitteln, was mit dem Kulturwandel gemeint ist, wenn man ihn selbst lebt.

Wie sieht das in der Area Kassel konkret aus? Kannst du ein paar Beispiele geben, was sich im Rahmen des Kulturwandels bei euch verändert hat?

Thomas Wirth (Foto: Hermes)

Thomas Wirth: Ein wichtiger Baustein ist aus unserer Sicht das Thema Talent Management. Hier gehen wir sehr gezielt vor und schauen, welche Potentiale in den eigenen Reihen schlummern und wie wir sie als Arbeitgeber dabei unterstützen können, sich zu entfalten und einzubringen – auch über die aktuelle Position hinaus. Wer Lust hat, wird von uns ausdrücklich dabei gefördert, Projekte zu übernehmen, die auch außerhalb des eigentlichen Arbeitsfeldes liegen.

Um ein greifbares Beispiel zu geben: Ein so wichtiges Anliegen wie die Steuerung der Corona-Maßnahmen für unsere Area wäre hierarchisch gesehen natürlich bei mir als Area Manager aufgehangen gewesen. Wir haben aber am Standort Friedewald einen Kollegen, der großes Interesse an dem Thema hatte und dem wir es fachlich und menschlich zugetraut haben, die Angelegenheit gut zu managen – also hat er hier den Hut auf. Das klappt wunderbar. An solchen Möglichkeiten können Mitarbeiter*innen und Unternehmen nur wachsen.

Ein anderer zentraler Punkt ist die Transparenz. Die Mitarbeiter*innen müssen wissen, welche Ziele und Kennzahlen wir verfolgen, wo wir gerade stehen und wofür sie sich reinhängen sollen. Wir führen deshalb zum Beispiel täglich kurze Schichtmeetings durch, in denen wir die Mitarbeiter*innen zur aktuellen Lage abholen. Bei der Gelegenheit fragen wir auch immer wieder ab, welche Zahlen tatsächlich relevant sind und wie der Informationsbedarf gerade ist.

Welchen Stellenwert hat ein offener Austausch?

Thomas Wirth: Einen extrem großen. Ich führe deshalb – sofern Corona nicht dazwischenfunkt – in jedem Quartal an jedem Standort in meinem Verantwortungsbereich Roundtablegespräche mit wechselnden Mitarbeiter*innen aller Positionen. Es gibt keine feste Agenda, kein Protokoll – die einzige Konstante sind Kaffee und Kuchen. Und dann frage ich einfach: Was habt ihr auf dem Herzen? Was wollt ihr wissen? Wo braucht ihr Unterstützung?

Kam da tatsächlich von Anfang an eine offene Gesprächssituation zustande? Dem ein oder anderen ist es doch sicher schwergefallen, sich dem Chef gegenüber kritisch zu äußern, oder?

Thomas Wirth: Inzwischen erlebe ich die Atmosphäre auf jeden Fall als sehr offen und auf Augenhöhe. Im Vorfeld gab es aber so kuriose Szenen wie, dass die Mitarbeiter*innen meine Assistentin ganz aufgeregt gefragt haben, was sie denn anziehen sollen, wenn sie am nächsten Tag mit mir ein Meeting haben. Aber je länger wir dann im Gespräch waren, desto lockerer und vertrauensvoller wurde es. Bei einem Termin kamen neulich über 25 Verbesserungsvorschläge und neue Ideen herum, das ist beachtlich. Was daraus wird, das halten wir natürlich für die Mitarbeiter*innen nach.

Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie verzeichnet die Paketbranche immer höhere Sendungsmengen. Bleibt den Kolleg*innen im operativen Tagesgeschäft überhaupt die Zeit, sich mit einem „Meta-Thema“ wie dem Kulturwandel zu beschäftigen?

Matthias Plack: Selbstverständlich steht unser operatives Geschäft immer an erster Stelle: Unser Job ist es, Pakete von A nach B zu bringen – nicht mehr und nicht weniger. Da darf man schon auch von Druck sprechen, die wichtigen Kennzahlen zu erfüllen. Ich nehme aber wahr, dass viele, viele Führungskräfte genau aus diesem Grund sehr genau darauf schauen, WIE sie führen und auch die Möglichkeit ihrer Teams und Mitarbeiter*innen erhöhen, in die Wirkung zu kommen. Wir sprechen hier also zwar von einer großen Aufgabe, diese stellt jedoch keinen Widerspruch, sondern eher eine Unterstützung für die Aufgaben von Führungskräften dar.

Der Kulturwandel verfolgt keinen Selbstzweck, er ist kein Feelgood-Programm, sondern dient dazu, unsere Performance zu steigern, einen operativen Mehrwert zu leisten und somit die Daseinsberechtigung der Firma zu unterstützen. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, aber die investierte Zeit wird sich letztendlich auszahlen.

Wo steht Hermes da aktuell?

Matthias Plack: Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg und nehmen immer mehr Fahrt auf. Es fängt an, richtig Spaß zu machen, sich über das Wie unserer Zusammenarbeit zu unterhalten – vor allem, weil auch immer mehr erste Erfolge sichtbar werden. Wir haben inzwischen über 340 Best-Practice-Cases aus allen Areas zusammengetragen. Mal sind das ganz kleine, mal ganz große Veränderungen. In Summe zahlen alle darauf ein, unser Business weiter nach vorne zu bringen und wirksamer zusammenzuarbeiten.

Und durch HR und die HR-Manager*innen der Regionen werden ganz viele tolle Maßnahmen in den gewerblichen Bereich getragen, zum Beispiel die schon erwähnten täglichen Schichtmeetings. Es wird also auch immer konkreter.

Vielen Dank für das Gespräch!

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