Langstrecken-Logistik Trucks ohne Trucker? Wie fahrerlose Lkw den Transport der Zukunft prägen könnten

Selbstfahrende Fahrzeuge in deutschen Innenstädten sollen schon 2026 Realität werden. Doch das viel größere Potenzial steckt in autonomen Lkw, die auf Schnellstraßen fahren können – allerdings sind auch die Hürden deutlich höher. Auch beim diesjährigen ITS World Congress in Atlanta sind sie wichtiges Thema. Ein Überblick.

Ein autonom fahrender Lkw bewegt sich im Rahmen des Forschungsprojektes ATLAS-L4 auf der Autobahn. (Foto: MAN)

Regennasse Fahrbahn. Ein grauer Kombi überholt einen fünfachsigen Lkw, zieht kurz danach auf dessen Fahrspur und stoppt plötzlich. Doch der Lastwagen bremst rechtzeitig und kann den drohenden Zusammenstoß verhindern. Von ganz allein. Der Mann, der hinter dem Lenkrad sitzt, zählt nicht als Fahrer, sondern als Passagier – und würde nur im Notfall eingreifen. Diese Szene spielte sich auf einem ehemaligen Fluggelände in Bayern ab und war Teil eines Forschungsprojekts, das im Mai 2025 abgeschlossen wurde: ATLAS-L4, kurz für: „Automatisierter Transport zwischen Logistikzentren auf Schnellstraßen im Level 4“.

„Level 4“ steht für eine Technologie, die – zumindest innerhalb vorgegebener Routen – komplett ohne Fahrer auskommen kann. Und damit für Fahrzeuge, die die Logistikbranche revolutionieren könnte. „Im Feld autonom fahrender Fahrzeuge sind Lkw das größte Geschäftsmodell“, sagt Markus Lienkamp, Professor für Fahrzeugtechnik an der TU München und Mitglied des Expertenteams von ATLAS-L4. Mit Blick auf die Kosten, aber nicht zuletzt auch auf den Fachkräftemangel: Laut einer Auswertung des Statistischen Bundesamts von 2024 fehlt es allein in Deutschland 40.000 bis 60.000 Fahrer*innen, zudem stehen rund 40 Prozent der aktiven Fahrer*innen kurz vor der Rente.

Prof. Dr.-Ing. Markus Lienkamp, Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik Fakultät für Maschinenwesen, Technische Universität München (Foto: Andreas Heddergott/TUM)

Der Fokus lag lange auf Pkw in Innenstädten

Den Schwerpunkt legten viele Entwickler im Bereich autonomes Fahren bislang auf Pkw im Innenstadteinsatz. In Hamburg sind bereits seit 2024 beispielsweise mehr als 20 Sammeltaxis der VW-Tochter Moia autonom unterwegs. Noch sitzt dabei ein Mensch im Wagen, der im Notfall eingreifen kann, ab 2026 aber sollen die Fahrzeuge vollständig automatisch fahren. In mehreren US-Städten ist auch dieser Schritt bereits Realität: In San Francisco, Los Angeles, oder Phoenix fahren seit 2024 komplett autonome Robotaxis des Herstellers Waymo; in China können Taxigäste bereits seit 2022 in mehreren Städten autonome Taxis des Herstellers Baidu nutzen.

Für Lkw steht dieser Entwicklungsschritt noch bevor. Der erste teilautonom fahrende Laster, der „Mercedes-Benz Future Truck 2025“, wurde zwar bereits 2014 vorgestellt, entwickelte sich aber nicht über den Prototypen-Status hinaus. Erst einige Jahre später starteten verschiedene Unternehmen weltweit Testläufe. Die schwedische Firma Scania etwa setzt seit 2018 solche Fahrzeuge für Minentransporte ein. Der ebenfalls in Schweden beheimatete Hersteller Einride nutzt seit 2019 erfolgreich autonome Lkw für Fahrten zwischen Lagern und Terminals in einem Industriegebiet. Ein ähnliches Konzept verfolgte ein Projekt von MAN zwischen 2018 und 2021, bei dem die Fahrzeuge innerhalb des Hamburger Hafens verkehrten.

Uneinheitliche Gesetzeslage, herausfordernde Technik

Zunehmend aber wagen sich nun auch Lkw auf öffentliche Straßen. Dabei gibt es zum einen regulatorische Herausforderungen: In den USA etwa handhaben die einzelnen Bundesstaaten ihre Zulassungspraxis sehr unterschiedlich. Und auch in der EU gibt es kein einheitliches Regelwerk. Die „General Safety Regulation“ erlaubt zwar seit 2022 Lkw mit Fahrer*innen an Bord das automatisierte Fahren bis zu einer Geschwindigkeit von 60 Stundenkilometern; die Zulassung von Level-4-Fahrten aber bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen. Dabei wurde Deutschland zum Vorreiter: 2021 schuf die Bundesrepublik als erstes EU-Land den rechtlichen Rahmen für Fahrten von Level-4-Fahrzeugen.

Hinzu kommen technische Herausforderungen. „Wenn ein autonom fahrender Pkw im Stadtverkehr Probleme bekommt, reicht es im Zweifel, ihn zu stoppen“, sagt Experte Lienkamp: „Aber was machen Sie, wenn bei einem Lkw bei 100 Stundenkilometern auf der Autobahn die Bremse oder Lenkung ausfällt?“ Für ATLAS-L4 wurden darum in allen Fahrzeugen redundante Technik eingebaut, sprich: Jedes technische Instrument ist doppelt vorhanden.

Ebenso wichtig sind präzise arbeitende Systeme, damit der Lkw „sehen“ kann, was in seiner Umgebung geschieht – beispielweise mit „Lidar“, kurz für: Light Detection and Ranging. Die Technik misst mithilfe von Laserstrahlen Entfernungen und kann damit präzise 3D-Modelle der Umgebung erstellen. In den vergangenen Jahren wurden hier enorme Fortschritte erzielt. Kostete etwa ein System, das 2015 im autonomen „Google Car“ verbaut wurde, noch rund 70.000 Euro, werden heute serienreife Systeme für weniger als 1.000 Euro angeboten. Gleichzeitig hat sich deren Leistungsfähigkeit enorm erhöht: Moderne Systeme können Gegenstände aus bis zu 300 Meter präzise erkennen.

Fehlendes Tempolimit erschwert den Einsatz

Doch auch damit ist der Einsatz auf Schnellstraßen anspruchsvoll – insbesondere in Deutschland, wo sich zum hohen Verkehrsaufkommen ein fehlendes Tempolimit gesellt. „Ein überholendes Fahrzeug kann 120 km/h fahren, aber auch 220 km/h – diese enormen Differenzgeschwindigkeiten sind sehr herausfordernd“, sagt Lienkamp: „Auf einem amerikanischen Highway, der schnurgerade von Ost nach West verläuft und auf dem ein Tempolimit herrscht, sind die Voraussetzungen deutlich besser.“

Das ATLAS-Projekt adressierte gleich mehrere solcher Themen. Ziel war es unter anderem, neue Methoden zur Echtzeit-Regelung zu entwickeln, die auch bei Unsicherheiten oder plötzlich auftretenden Änderungen funktionieren; mithilfe von KI das flexible Anpassen der Steuerung an verschiedene Fahrsituationen zu ermöglichen; sowie Kameras und Fernsteuerungskonzepte zu entwickeln, mit deren Hilfe Fahrzeuge auch bei schlechter Bildqualität sicher gelenkt werden können.

Die Tests liefen so erfolgreich, dass das ausgediente Rollfeld im April 2024 gegen einen echten Autobahnabschnitt ausgetauscht wurde: Bei der zehn Kilometer langen Testfahrt auf der A9 nördlich von München fuhr sogar der damalige Bundesverkehrsminister Volker Wissing mit. Die Erkenntnisse des inzwischen abgeschlossenen Projekts sollen die Grundlage dafür bilden, dass autonome Lkws auf deutschen Autobahnen Fahrten mit rund 100 Kilometer Länge von einem Logistik-Hub zum nächsten zurücklegen können.

Vorteile für Infrastruktur und Energieverbrauch

Neben dem Ausgleich des Fahrermangels könnte das auch enorme Vorteile für die Nutzung von Infrastruktur und sogar von Energieressourcen mit sich bringen. Lienkamp: „Ein Szenario wäre, dass die Lkw nur noch nachts von Hub zu Hub fahren – und dass Fahrer diese Waren dann tagsüber in die Städte bringen. Und dies am besten kombiniert mit elektrischen Lkw, die dann obendrein nachts aufgeladen werden, wenn die Nachfrage nach Strom gering ist.“ Allerdings seien die Investitionen in Europa deutlich geringer als in den USA oder auch China, meint Lienkamp. „Ich glaube darum nicht, dass wir 2030 bereits autonome Lkw auf unseren Autobahnen sehen – eher um das Jahr 2035.“

In den USA befinden sich viele Unternehmen gerade im Übergang von der Testphase zum realen Einsatz. Mehrere Hersteller haben dort seit 2022 den Einsatz fahrerloser Lkw auf öffentlichen Schnellstraßen getestet – und die Technologiefirma Aurora betreibt seit Anfang 2025 bereits erste kommerzielle Einsätze. Nach Unternehmensangaben wurden dabei unter anderem Transporte für den Logistiker Uber Freight ausgeliefert.

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