Onlinehandel benötigt Logistikinfrastruktur

E-Commerce und Multi-Channel-Handel wachsen beständig - doch wie steht es um die Infrastruktur? Und was muss getan werden, um auch in urbanen Gebieten die Versorgung langfristig zu sichern?

Dr. Alexander Nehm ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Logivest Concept. (Foto: Logivest Concept)

Gastbeitrag von Dr. Alexander Nehm, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Logivest Concept

Wie kein anderes Thema dominieren die Veränderungen durch den fortschreitenden E-Commerce und Multi-Channel-Handel derzeit die Diskussionen in der Logistikbranche. Beim diesjährigen 33. Deutschen Logistik Kongress der Bundesvereinigung Logistik (BVL), mit mehr als 3.300 Teilnehmern, wurde beispielsweise in Foren wie „Zukunft der urbanen Logistik“ oder „Handel im Wandel“ über die Auswirkungen dieser disruptiven Entwicklungen auf die Logistik diskutiert. Einig waren sich die Branchenvertreter darin, dass für die benötigte Infrastruktur neue Ansätze gefragt sind, und zunehmend der Kunde den Weg der Waren bestimmt.

Veränderte Flächennachfrage

Rund 1,5 Mio. Quadratmeter an Logistikfläche wurden in den letzten fünf Jahren von Internet-Pure-Playern wie Amazon, Zalando oder der Otto Group gebaut, darunter häufig Standorte mit zum Teil mehr als 100.000 Quadratmetern. Rund eine Million Quadratmeter entfielen auf die übrigen E-Commerce-Marktteilnehmer. Doch ab 2013 setzte bei den Neubauaktivitäten ein neuer Trend ein: Die Flächennachfrage hat sich insofern verändert, dass Onlinehändler vor allem für die Distribution von Lebensmitteln und Non-Food-Produkten des täglichen Bedarfs, verstärkt Standorte in oder in der Nähe von Ballungszentren suchen. Ziel ist es, deutschlandweit kürzere Lieferzeiten zu erzielen.

Die Verteilzentren oder Depots, die dort realisiert werden, sind mit rund 2.000 bis 10.000 Quadratmetern deutlich kleiner als die großen Zentrallager, die meist in der Mitte Deutschlands angesiedelt werden. Der Eindruck, dass sich E-Commerce-Logistik zukünftig nur noch in den Innenstädten abspielt, täuscht jedoch. Denn unter Berücksichtigung der hohen Bestandskosten bleibt die Zentrallagerstrategie in Verbindung mit leistungsfähigen Paketdiensten, für die Mehrzahl der Online-Händler der praktikablere Ansatz. Das Warenangebot, das in den stadtnahen Immobilien vorgehalten wird, beschränkt sich zunächst auf Güter des täglichen Bedarfs, so auch Lebensmittel.

Wachstum erfordert Handeln

Immer mehr Bürger kaufen online ein und wollen die Ware möglichst schnell beziehungsweise pünktlich. Der Umsatz mit Waren betrug im deutschen Online- und klassischen Versandhandel im Jahr 2015 rund 52,4 Mrd. Euro. Dabei machen Paketsendungen mit 9,4 Mrd. Umsatz den größten Anteil des Kurier-Express-Paket-Marktes (KEP) in Deutschland aus. Auf die Expresssendungen entfielen 4,1 Mrd. Euro und der Bereich der Kuriersendungen trug 3,9 Mrd. Der Bundesverband Paket- und Expresslogistik (BIEK) prognostiziert knapp 3,8 Mrd. Sendungen bis 2020. Ein Zuwachs um 5,1 Prozent pro Jahr, der deutlich über dem bisherigen durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 3,8 Prozent im Zeitraum 2000 bis 2015 liegt.

Mit diesem Wachstum geht die Entwicklung der Neubauaktivitäten bei Logistikimmobilien für die KEP-Branche einher: Rund 65.000 Quadratmeter an Neubaufläche verzeichnet der Logistikimmobilien-Seismograph bereits in diesem Jahr. Für das Gesamtjahr 2016 erwarten wir noch einen Anstieg auf insgesamt mehr als 80.000 Quadratmeter. Am Gesamtmarkt der Logistikimmobilien haben KEP-Anlagen lediglich einen Anteil von drei bis fünf Prozent. Dieses Verhältnis wird sich auch aufgrund des ansteigenden Sendungsvolumens zukünftig kaum ändern, da KEP-Anlagen von der Fläche her relativ klein gegenüber den Standard-Logistikimmobilien sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie strategisch gesehen weniger relevant sind. Schließlich werden sich nur die Online-Händler durchsetzen, die ihren Kunden die beste Logistik bieten. Doch geeignete Flächen für Warenlager und Umschlagdepots zu bekommen, ist eine Herausforderung. Insbesondere in Innenstadtlage konkurriert die Logistik mit anderen Immobilienklassen wie Büro, Wohnen oder Einzelhandel und ist häufig nicht gern gesehen.

Mehr Akzeptanz durch Kommunikation

Dennoch, die Wahrnehmung der Logistikbranche wird zunehmend präsenter – auch in der breiten Öffentlichkeit. Nicht zuletzt, weil wir uns an den Komfort der heutigen Warenverfügbarkeit gewöhnt haben. Um die Vorzüge der schnellen und flexiblen Paketzustellung, insbesondere in den Städten, weiter auszubauen und die damit verbundenen Verkehre möglichst effizient zu gestalten, experimentieren KEP-Dienstleister sowie Einzel- und Online-Händler mit unterschiedlichsten Pilotprojekten. Dabei entstehen auch neue Geschäftsmodelle und zahlreiche Startups, die hier innovative Lösungen anbieten.

Der Thematik effizienter Lieferstrukturen nehmen sich mittlerweile auch Kommunen und Stadtplaner verstärkt an. Bei den sensiblen Themen wie Verkehr und Flächenverbrauch ist vor allem eine frühzeitige faktenbasierte Kommunikation und Aufklärung in verschiedene Richtungen notwendig. Die Basis für einen Dialog aller Interessengruppen ist eine ausführliche Analyse des Standorts, bei der Ansiedlungsfaktoren wie Verkehrsanbindung, Verfügbarkeit von Arbeitskräften, wirtschaftliches Umfeld oder Nutzungsmöglichkeiten einfließen. Daraus ergibt sich schlussendlich ein klar umrissenes Profil der geplanten Logistikansiedlung. Auf dieser Grundlage lassen sich dann geeignete Kommunikationsmaßnahmen für eine sachliche Diskussion ableiten.

Überregionales Zusammenspiel

Zur Gestaltung zukunftsfähiger Logistiksysteme für den E-Commerce werden sowohl innerstädtische (Umschlags-)Lager zur urbanen Versorgung als auch große Flächen für Distributionszentren in dezentralen Lagen beziehungsweise dem Zentrum Deutschlands benötigt. Als Berater beider Seiten, der Kommunen und Wirtschaftsförderer sowie ansiedlungswilliger Nutzer, raten wir dazu, verstärkt in interkommunalen und infrastrukturellen Kategorien zu denken. Hier sollten zum Wohle einer Region – Stichwort Flächenversiegelung – und im Sinne der Unternehmen, passende Gewerbegebiete, beispielsweise in Form von interkommunalen Gewerbegebieten, ausgewiesen werden.

Eine gebündelte überregionale Ansiedlung von Logistikstrukturen bietet die Chance auf Synergien, zum Beispiel durch eine Verringerung der Transporte, führt zu höherer Akzeptanz in der Bevölkerung, reduziert den Flächenverbrauch und dämmt die „Zersiedlung“ durch Logistikansiedlungen „auf der grünen Wiese“ ein. Mit der Informationsplattform Gewerbegebiete.de steht zudem ein Portal zur Verfügung, das sich zum Ziel gesetzt hat, Angebot und Nachfrage in diesem Segment zusammenzubringen und für bundesweite Transparenz mit allen wichtigen Kennzahlen des jeweiligen Gebiets zu sorgen.

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