Mitarbeitergesundheit: So funktionieren Exoskelette
Bücken, Heben, Tragen, Laufen. Wo immer Menschen körperlichen Belastungen ausgesetzt sind, können Exoskelette helfen. Im Fall von Hermes Germany sollen die „Skelette von außen“ – so die wörtliche Übersetzung – ihre Träger*innen vor allem vor gesundheitlichen Schäden schützen. „Wer sich immer wieder vorneüber beugen muss, bringt dabei seinen Körper in eine Zwangshaltung“, sagt Nicola von Tippelskirch, Global Ergonomic Specialist bei Ottobock – dem Hersteller der Exoskelette. „Das bedeutet eine enorme Belastung für die Bandscheibe. Das kann im schlimmsten Fall zu einem Bandscheibenvorfall oder einem Hexenschuss führen.“
Diese Belastung wird mechanisch auf das Exoskelett übertragen. In einigen Modellen sorgen Seilzüge oder Expander für die Übertragung, bei den von Hermes Germany verwendeten SUITX-Modellen sind es Glasdruckfedern. Mit Gurten können die Systeme individuell auf Größe, Gewicht und Kraft der Träger*innen angepasst werden, sagt von Tippelskirch: „Wir können verschiedene Beugungswinkel einstellen und festlegen, mit wie viel Kraftintensität das Exoskelett unterstützen soll.“
Idee entstand schon im 19. Jahrhundert
Die Idee, körperliche Belastungen durch ein mechanisches Skelett abzufedern, ist nicht neu. Der russische Erfinder Nicholas Yagn erhielt bereits 1890 ein Patent für ein System, das Infanteristen das Gehen, Laufen und Springen erleichtern sollte und im Wesentlichen aus zwei Blattfedern bestand, die an den Oberschenkeln befestigt wurden. Ob diese Erfindung jemals zum Einsatz kam, ist unbekannt.
In den 1960er Jahren wurde das Thema dann erneut vom US-Militär wieder aufgegriffen, um Soldat*innen das Tragen von Waffen und Ausrüstung zu entlasten. Aber erst zu Beginn der 2000er wurden nutzungsfähige Modelle entwickelt. Gleichzeitig kamen die ersten Exoskelette für den zivilen Einsatz auf.
Ein Teil dieser Modelle wurde für Träger*innen mit medizinisch bedingten Einschränkungen kreiert, beispielsweise für Menschen, die unter Muskelschwäche leiden, und Schlaganfallpatient*innen, die das Gehen neu erlernen müssen. Der andere Teil hilft Gesunden, die körperlich herausfordernde Tätigkeiten ausüben. Die Einsatzgebiete reichen von Pflücker*innen auf Weinbergen, die Trauben von Hand ernten und auf ihrem Rücken transportieren, über Handwerker*innen, die in gebückter Haltung oder über Kopf arbeiten müssen, bis hin zu Jobs in Lagern, bei denen die Mitarbeiter*innen mitunter schwere Lasten heben müssen – wie bei Hermes Germany.
Unterstützung bei Belastungsspitzen
Ottobock produziert seit acht Jahren solche Exoskelette. Traditionell ist das Unternehmen Hersteller für Medizintechnik, insbesondere Prothesen und Orthesen, die verletzte Gelenke, Bänder oder Knochen stabilisieren. „Das Wissen, das wir dabei über den menschlichen Körper gewonnen haben, nutzen wir, um zu verhindern, dass Menschen überhaupt Orthesen brauchen“, sagt David Duwe, Vice President SUITX by Ottobock Europe.
Die Exoskelette übernehmen aber keinesfalls vollständig die Aufgabe der Muskulatur, betont von Tippelskirch: „Es werden nur die Belastungsspitzen weggenommen. Das ist wichtig, damit die Muskeln weiter belastet werden und arbeiten.“
Studien belegen verbesserte Körperhaltung
Das Exoskelett federt aber nicht nur Belastungen ab, es bringt die Träger*innen auch dazu, Belastungen zu vermeiden, denn sie müssen einen leichten Widerstand überwinden, sagt Duwe. „Das animiert unterbewusst dazu, eine bessere Körperhaltung einzunehmen. Man geht beim Heben tiefer in die Beine und hält den Rücken gerader.“ Gemeinsame Studien von Ottobock und Forschungseinrichtungen wie dem Fraunhofer-Institut kamen zu dem Ergebnis, dass die Träger*innen der Exoskelette ihre Körperhaltung nach zwei bis drei Nutzungswochen im Schnitt um 65 Prozent verbessert hatten.
Das helfe auch, um Mitarbeiter*innen vom Sinn der mechanischen Hilfen zu überzeugen. „Vielen fehlt anfangs das Verständnis dafür, warum sie ein Exoskelett tragen sollten. Denen können wir mit Zahlen zeigen: Schau mal, so stark wirst du entlastet.“
Davon profitierten die Mitarbeiter*innen auch langfristig, sagt er: „Früher konnten viele Menschen in körperlich anstrengenden Berufen mit 40 Jahren nicht mehr arbeiten, weil sie Schmerzen in Rücken oder Schultern hatten.“ Die Exoskelette verlängern nun auch potenziell die Lebensarbeitszeit. Ganz nebenbei steigern sie die Produktivität ihrer Träger*innen nach Studien von Ottobock um bis zu 19 Prozent. „Das ist für uns allerdings nur ein Nebeneffekt“, sagt Duwe: „Wir wollen in erster Linie die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärken.“