Bio statt Plastik? Der Online-Handel auf dem Weg zu nachhaltigen Verpackungen
Die Paketbranche stellt um. Eine klimafreundliche Zustellung mit Lastenfahrrädern oder E-Autos senkt vielerorts den CO2-Ausstoß bei der Paketauslieferung, zusätzlich wird CO2-Kompensation genutzt, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern. Wenig verändert hat sich dagegen in den vergangenen Jahren bei der Verpackung der Waren, die die Paketzusteller*innen ausliefern. Auch wenn sie oft mehrfach verwendet werden, wird für die Herstellung von Kartons, Papp- und Papiertütenverpackungen viel Energie und vor allem Wasser verwendet. Nicht sachgerecht entsorgte Plastikverpackungen verschmutzen zusätzlich die Umwelt. Doch ohne Verpackungen kein E-Commerce – und die Anforderungen sind hoch: Sie müssen robust sein, die Ware schützen, dem Transport standhalten und Hersteller benötigen die Möglichkeit des Aufdrucks, da die gebrandeten Verpackungen auch ein Marketinginstrument sind. Ist es dennoch möglich, neue, nachhaltige Arten der Verpackung zu entwickeln? Wir stellen drei Optionen vor: neue Materialien, recyceltes Plastik und Mehrwegverpackungen. Hermes hat sie bereits im Rahmen von Pilottests bei OTTO transportiert.
Neues Material: Pflanzliche Alternativen zu Kunststoffen
Ein Beispiel für ein neuartiges, nachhaltiges Material ist die Erfindung des Hamburger Start-ups Traceless. Die Gründerinnen Johanna Baare und Anna Lamp haben eine pflanzliche Alternative zu Kunststoffen entwickelt, die komplett kompostierbar ist. Aus Resten der landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktion stellen sie ein Basismaterial in Granulatform her, das sowohl zu flexiblen Folien als auch zu Hartplastik oder Beschichtungen verarbeitet werden kann. Eine erste Investmentrunde ist den Gründerinnen bereits geglückt und mit ihrer Fokussierung auf nachhaltige Verpackungen für den E-Commerce haben sie einen großen Partner gewonnen: OTTO startet 2023 einen ersten Pilottest mit kompostierbaren Versandtüten, die aus Graspapier und Traceless-Material bestehen. Der Test soll zeigen, ob das Material auch regulär und in großem Stil eingesetzt werden kann.
Mehrwegverpackungen: Das Ende der Einweg-Materialien?
Eine weitere Option sind Mehrwegverpackungen, also Kunststoffkisten oder Versandtaschen, die von Empfänger*innen nach Erhalt der Sendung an den Versandhandel zurückgeschickt werden. Je nach Robustheit dieser Kisten könnten Einweg-Verpackungen komplett wegfallen. Die Studie innerhalb des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsvorhaben Praxpack hat 2020 ergeben, dass die Mehrwegsysteme ökologisch vorteilhaft sind, wenn eine bestimmte Umlaufzahl realisiert wird: Bei einer Mehrweg-Versandtasche lag die im niedrigen einstelligen Bereich, bei Mehrweg-PP-Boxen beispielsweise deutlich höher. „Zentral ist, das System so zu gestalten, dass eine hohe Rücklaufquote erreicht wird“, resümiert die Studie. Auch laut Sven Sängerlaub, Professor für Verpackungstechnik an der Hochschule München, ist die Rücklaufquote einer der Knackpunkte: „Die Haupthürde ist erst einmal die effiziente Logistik: Prozesse müssen schnell mit wenig Personalaufwand und geringen Kosten funktionieren. Vor allem müssen aber Kunden die Systeme annehmen: Einfach funktionierende Pfand- und Gebührenmodelle sind Grundvoraussetzung für funktionierende Geschäftsmodelle“, sagt Sängerlaub. Bei „Lieferzeit. Der Logistik-Podcast“ spricht Sven Sängerlaub ausführlich über die Herausforderung verschiedener Verpackungsmaterialien.
Dennoch sollte man Mehrweg seiner Meinung nach immer wieder in Betracht ziehen: „Man spart Rohstoffe und Energie für die Herstellung. Das ist gut für die Umwelt. Dagegen rechnen muss man jedoch Aufwand für zusätzlichen Transport, Reinigung und Bereitstellung von Mehrweg-Gefäßen. Vereinfacht kann man resümieren, dass sich Mehrweg umso mehr lohnt, wenn Transportwege kurz sind.“ Und sie wird umso ökologischer, je mehr Umläufe sie schafft.
Im Sommer 2020 testete auch OTTO im Rahmen eines Pilottests Mehrwegverpackungen des finnischen Dienstleisters RePack, der Rücknahme und Wiederverwendung von Verpackungen für Online-Händler anbietet. „Im Testlauf lag die Retourquote bei 75 Prozent – für eine ökologisch wie wirtschaftlich sinnvolle Nutzung von Mehrwegtaschen sind 85 bis 90 Prozent notwendig“, sagt OTTO-Pressesprecher Ingo Bertram. „Knackpunkt bei dem Mehrwegmodell ist zudem der sehr hohe logistische Mehraufwand, der insbesondere bei einer bundesweiten Skalierung entstehen würde“, sagt er.
Recyceltes Plastik: Fairtrade mit wildem Plastik
Neben Traceless-Versandtaschen setzt OTTO deshalb auf Versandtüten aus recyceltem Plastik und nutzt die Produkte von Wildplastic. Ziel des Start-up-Mitgründers und CEO Christian Sigmund war, Kunststoffmüll, der nicht recycelt oder anders entsorgt wird und in der Umwelt landet, wieder zu verwenden. Was also achtlos in der Natur entsorgt wurde, wird in den Recyclingkreislauf zurückgeführt und zu Versandtaschen verarbeitet.
Das wilde Plastik wird an Orten gesammelt, wo die vermüllte Umwelt das Leben der Menschen besonders beeinträchtigt, beispielsweise in Haiti, Nigeria oder Indien. Wildplastic achtet auf einen fairen und regelmäßigen Lohn für die Sammler*innen und mit verschiedenen gemeinnützigen Sammelorganisationen zusammen. Das Plastik wird anschließend gesäubert und zu Granulat verarbeitet, aus dem unter anderem Versandtaschen und Müllbeutel entstehen. Die Empfänger*innen der Sendungen können sie der gelben Tonne oder ähnlicher Entsorgung zuführen, sodass sie in Deutschland wieder in den regulären Recycling-Kreislauf eingehen.